Wie die Robert-Enke-Stiftung zwischen Forderungen und Herausforderungen steht
Durch den Tod von Robert Enke hat die Krankheit Depression, die auch in der Epoche des medizinischen Fortschritts über kein entsprechendes Verfahren oder Instrument gemessen beziehungsweise objektiv dargestellt werden kann, erstmals ein Gesicht bekommen. Ein Gesicht, dem die Menschen – egal ob gesund oder psychisch erkrankt – Sympathie, Menschlichkeit und insbesondere Vertrauen entgegengebracht haben. Somit löste der Tod dieses hoch geschätzten Menschen auch vielfach den Drang aus, ehrlich zu sein, Gutes zu tun, die Dinge ändern zu wollen oder dies zumindest vehement zu fordern. Forderungen, wie der Fußball müsse sich verändern, oder nicht wesentlich konkreter, jeder Fußballbundesligist müsse nunmehr einen Sportpsychologen beschäftigen, wurden bereits kurze Zeit später formuliert; jedoch ohne überhaupt zu wissen, was dies tatsächlich bedeuten würde und welche Vor-, aber auch Nachteile sich dahinter verbergen könnten. Vor diesem Hintergrund tat der deutsche Fußball gut daran, obwohl er sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung von Anfang an bewusst war, erst einmal Abstand zu gewinnen. Abstand zu gewinnen, um die Hilfslosigkeit, die nach wie vor Millionen von Menschen bei dem Gedanken an den 10. November 2009 und den unmittelbar darauffolgenden Tagen erfasst, aufzubrechen.
Als Ausdruck dieser gesellschaftlichen Verantwortung nahm die Robert-Enke-Stiftung (RES), welche durch den Deutschen Fußball-Bund (DFB), den Ligaverband (Die Liga – Fußballverband e.V.) und die Hannover 96 GmbH & Co. KG gegründet wurde, unter dem Vorsitz von Teresa Enke Anfang 2010 ihre Arbeit auf. In diesem Zuge ergaben sich für die RES im Hinblick auf den Leistungssport zunächst zwei übergeordnete Ziele:
Primär musste eine Versorgungsstruktur ins Leben gerufen werden, die niederschwellig sowie unabhängig von Vereinen oder Verbänden ein Behandlungsangebot für Leistungssportler ermöglicht. Diesbezüglich konnte in der Zwischenzeit ein großflächiges Netzwerk mit bundesweit acht beteiligten Universitätskliniken und ca. 50 ambulanten Sportpsychiatern/-psychotherapeuten geschaffen werden, welches im November 2012 durch die Standortinitiative „Deutschland – Land der Ideen“ die Auszeichnung als „Ausgewählter Ort 2012“ erhalten hatte. Ein derartiges Netzwerk war für Robert Enke damalig noch nicht zugänglich.
Darüber hinaus bemüht sich die Stiftung seit Beginn ihrer Arbeitsaufnahme darum, in einem parallelen zweiten Ansatzpunkt, der zudem auch als Lehre aus dem Fall von Sebastian Deisler anzusehen ist, das Krankheitsbild der Depression gezielt in der Öffentlichkeit zu enttabuisieren. Betrachtet man in dieser Hinsicht beispielsweise die Berichterstattung zu den öffentlichen Bekenntnissen von 96-Torhüter Markus Miller, der dreifachen Olympiasiegerin Lindsey Vonn oder aktuell des Eishockey-Nationalspielers Constantin Braun von den Eisbären Berlin, lassen sich hier ebenfalls bemerkenswerte Fortschritte feststellen.
Demnach machte sich die Robert-Enke-Stiftung bisher erfolgreich auf den Weg, um eine Lösung für zwei Problematiken zu finden, welche über einen längeren Zeitraum im Leistungssport existierten und bis dato nicht oder nur unzureichend Beachtung fanden. Denn letztendlich hat der Fußballsport mit Robert Enke, 2009 Stammtorhüter der deutschen Fußballnationalmannschaft, sowie Sebastian Deisler, der bekanntlich als das größte deutsche Talent der 2000er galt, zwei herausragende Akteure verloren, trotzdem er in vielen Bereichen seit jeher über eine sehr professionelle (medizinische) Struktur verfügt.
Da jene bis zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch kein Hilfsangebot für eine derart spezifische Erkrankung wie die Depression in sich trug, sondern sie genauso wie die gesamte Öffentlichkeit ein Stück weit stigmatisierte, war es die logische Folge, dass die Robert-Enke-Stiftung ihre Arbeit zunächst auf diese beiden Aspekte fokussierte. Dabei zielten die Bestrebungen jedoch nie darauf ab, den Fußball zu verändern, wie es der ehemalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, Dr. Theo Zwanziger, unmittelbar nach dem Tod von Robert Enke in seiner bewegenden Trauerrede im Stadion von Hannover 96 gefordert hatte und fortan in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde.
„Den Fußball werden und wollen wir gar nicht verändern, da sich Leistungssport immer über erbrachte Leistung definieren muss. Genauso dürfen wir nicht den Fehler begehen, überzogene oder gar falsche Schlüsse aus dem Tod meines Mannes, beispielsweise hinsichtlich des Fehlverhaltens von einer Minderheit der Fans oder der oft beschriebenen sowie vielfältigen „Druck-Situationen“ für Spieler wie Schiedsrichter, zu ziehen. Denn der Fußball an sich, die Gemeinschaft in der Kabine und die Freude im Training, hat auch Robert in seinen depressiven Phasen sehr viel Halt gegeben“, stellt Teresa Enke als Vorstandsvorsitzende der RES klar. Stattdessen werde die Robert-Enke-Stiftung weiter depressiv erkrankten Sportlern einen Weg eröffnen, um nach einer Heilungsphase wieder zurückzukehren und sich ohne Stigmatisierung öffentlich erklären zu können.
Hierbei gilt es zusätzlich, neben dem Leistungssport auch im gesamtgesellschaftlichen Bereich mit Hilfe der Strahlkraft des Fußballs aufzuklären sowie damit einhergehend die Enttabuisierung von psychischen Erkrankungen, vor allem der Volkskrankheit Depression, kontinuierlich voranzutreiben und schließlich Engagement für Familien mit herzkranken Kindern zu zeigen. „Eine Stiftung mit seinem Name“, so formulierte es einst Autor Ronald Reng, der die Biographie „Robert Enke: Ein allzu kurzes Leben“ verfasste, „muss den Anspruch haben, gegen beide Tragödien seines Lebens zu kämpfen, für die Unterstützung herzkranker Kinder genauso wie gegen Depressionen, diese tückische Krankheit, die Robert Enke am Ende sogar den Gedanken raubte, wie sehr er das Leben liebte.”
Auch am vierten Todestag bleibt bei den Erinnerungen an Robert Enke ein echter und tiefer Schmerz zurück, der sich häufig in der Sinnfrage und der Hoffnung äußert, Antworten auf die vielen, sich stetig wiederholenden Fragen zu erhalten. Somit wird Robert Enke auf ewig eine Mahnung für die Gesellschaft sein, als Betroffener noch offener und als Nicht-Betroffener weitaus verständnisvoller mit einer Depressionserkrankung umzugehen. Dies ist ein Auftrag, den es auch weiterhin mit Entschlossenheit umzusetzen gilt.
In diesem Jahr wurde dem ehemaligen Nationaltorwart der deutschen Fußball-Nationalmannschaft im kleinen Kreise in Empede gedacht. So stattete Teresa Enke gemeinsam mit Vertretern der Stiftung dem Grab ihres Mannes am Morgen des Todestages einen Besuch ab und legte dabei Trauergestecke vom Deutschen Fußball-Bund, des Niedersächsischen Fußballverbandes sowie der Robert-Enke-Stiftung nieder. Darüber hinaus bietet die Facebook-Präsenz der RES wie in den Jahren zuvor eine Plattform des gemeinsamen Gedenkens.