An der Humboldt-Universität zu Berlin werden seit 2017 die Einflüsse einer situativen affektiven Belastung bei gesunden Personen untersucht, die in der Vergangenheit eine depressive Episode erlebt haben. Die Studie mit dem Namen „Dysphoric Affect as a Function of Cognitive Biases and Inhibitory Control in Remited MDD” hat das Ziel, mögliche Veränderungen der Aufmerksamkeit, der Reaktionsgeschwindigkeit und der Interpretationstendenzen von ehemals an Depressionen erkrankten Menschen zu erforschen.

Unipolare Depressionen sind eine verbreitete psychische Erkrankung, die in ihrer häufigsten Ausprägungsform einen chronisch-episodenhaften Verlauf annimmt. Da viele Betroffene nach einer ersten depressiven Erkrankungsphase weitere Krankheitsepisoden erleiden, kommt der Rückfallvermeidung größte Bedeutung zu. Die Studie unter der Projektleitung von Lara von Koch (Klinische Psychologie) und Norbert Prof. Dr. Kathmann (Klinische Psychologie) soll dazu beitragen, das Verständnis unipolar depressiver Störungen auf der Ebene kognitiver Prozesse zu verbessern. Zu den Anzeichen eines depressiven Affekts gehören Veränderungen der automatischen Verarbeitung traumaassoziierter Stimuli im Sinne einer Favorisierung negativer Information. Das bedeutet die präferenzielle Aufmerksamkeitszuwendung zu emotional negativem gegenüber positivem oder neutralem Material.

Jüngere Arbeiten legen nahe, dass Veränderungen in der automatischen Verarbeitung emotionaler Reize auch bei genesenen Patienten nach Remission einer depressiven Episode fortbestehen. Jedoch sind die vermittelnden kognitiven Mechanismen, die im Erkrankungsverlauf zur (Wieder-)ausprägung depressiver Symptomatik führen, bisher nicht ausreichend verstanden und es existieren wenige Arbeiten, die diese Prozesse an größeren Personengruppen mit klinisch auffälliger Symptomatik untersuchen. Diese Forschungslücke soll mittels der genannten Studie geschlossen werden: Personen, die in der Vergangenheit bereits eine depressive Episode erlebt haben, derzeit aber symptomfrei sind, werden in einem experimentellen Studiendesign hinsichtlich ihrer fortbestehenden Veränderungen bei der Verarbeitung emotionaler Reize in den Modalitäten Aufmerksamkeit, Interpretationstendenzen und Erinnerungsabruf durch die Erfassung von Augenbewegungen mittels Eyetracking und Reaktionszeitmessung untersucht.

Im zweiten Schritt wird die emotionale und physiologische Stressreaktion (Veränderungen der Herzfrequenz, subjektive Ratings) auf eine anstrengende und frustrane Situation im Labor in Abhängigkeit der zuvor erhobenen Merkmale erfasst. Damit soll geprüft werden, dass ehemals an Depressionen erkrankten Menschen, die ausgeprägte Veränderungen in frühen Stadien der Reizverarbeitung aufweisen, situativ stärkere Beeinträchtigung durch auftretende Belastungssituationen erfahren. Übergeordnete Zielsetzung dabei ist, die automatischen kognitiven Risikofaktoren für depressive Rückfälle durch computergestützte Trainings gezielt zu verändern (sogenannte Cognitive Bias Modification). Vorteile eines solchen Vorgehens für Betroffene liegen in den erweiterten Zugangswegen zu angebrachter Behandlung (ergänzend beispielsweise zum Zugang zu Psychotherapieplätzen), der aktiven Rückfallvorbeugung auf Verhaltensebene und der Einbindung eines bisher nahezu ungenutzten Wirkfaktors in die antidepressive Therapie. Ein spannendes Forschungsprojekt, das die Robert-Enke-Stiftung mit 12.500 Euro unterstützt.

Quellen: Humboldt-Universität zu Berlin. DYSPHORIC AFFECT AS A FUNCTION OF COGNITIVE BIASES AND INHIBITORY CONTROL IN REMITTED MDD. Verfügbar unter https://fis.hu-berlin.de/converis/publicweb/Project/16543?share=false&cntpers=false&reqstfulltxt=false&reports=false&lang=1 [29.03.2018].