In der klinischen Arbeit wird immer wieder gesehen, dass Depressionen und Suizidalität nicht nur für die betreffenden Personen ein erhebliches menschliches Leid bedeuten, sondern dass sich sowohl die Depression, als auch suizidale Gedanken und Verhaltensweisen in die nächste und übernächste Generation fortsetzen können. Häufig betrifft gerade Suizidalität eine ganze Familie und es lässt sich beobachten, dass mehrere Generationen derselben Familie mit ähnlichen Problemen in den Ambulanzen und Kliniken vorstellig werden. Die genauen Ursachen und Mechanismen dieser transgenerationalen Prozesse sind jedoch bisher weitestgehend unbekannt. Trotz weitreichender wissenschaftlicher Erkenntnisse der Forschung zu Suizidalität der letzten Jahre ist es bislang nur in sehr begrenztem Maße gelungen, relevante Risikofaktoren mit hohem prädikativem Wert und insbesondere der Möglichkeit von früher präventiver Intervention zu identifizieren. Das im Folgenden ausgeführte Forschungsprojekt soll die transgenerationalen Aspekte von Suizidalität bei Menschen mit einer Depression untersuchen, um daraus präventive Interventionsmöglichkeiten und therapeutische Strategien abzuleiten.

Eine depressive Erkrankung ist einer der Hauptrisikofaktoren für Suizidalität. Gleichzeitig zeigt sich eine hohe familiäre Häufung von Suizidalität, so dass Patienten mit einem Suizid in der Familie ein vielfach erhöhtes Risiko für Suizidalität besitzen. Entscheidend ist dabei, dass dieses erhöhte Familienrisiko unabhängig von dem Auftreten von psychischen Erkrankungen in der Familie ist. Die genauen Mechanismen der generationsübergreifenden Weitergabe von Suizidalität sind nach wie vor unbekannt. Eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Mechanismen wird in den hochrangigsten internationalen Journals in den letzten Jahren von Experten immer wieder gefordert.

Die Forschungsgruppe um Dr. Jonathan Henssler, Dr. Stefan Gutwinski und Prof. Dr. Felix Bermpohl der Psychiatrischen Universitätspsychiatrie der Charité im St. Hedwig Krankenhaus hat sich zum Ziel gesetzt, diese Verständnislücke zu schließen. Der dringende Wunsch ist es, über ein besseres Verständnis der generationsübergreifenden Weitergabe von Suizidalität diesen familiären „Teufelskreis“ in einem zweiten Schritt durchbrechen zu können. Ziel des Projektes ist die Erstellung und Etablierung eines Fragebogens, der das Risiko der familiären „Weitergabe“ von Suizidalität bei Angehörigen nach einem stattgehabten Suizid erfasst und gezielte präventive Intervention ermöglicht. Gleichzeitig soll der Fragebogen diejenigen entscheidenden Aspekte innerfamiliärer Kommunikation nach einem Suizid identifizieren, die eine solche „Weitergabe“ von Suizidalität verhindern und begünstigen und damit maßgebliches Instrument für Therapeuten und andere mit Betroffenen arbeitende Berufsgruppen sind.

Die Robert-Enke-Stiftung unterstützt das Forschungsprojekt mit 8.500 Euro.

Quellen: J. Henssler, S. Gutwinski & F. Bermpohl (2018). Antrag an die Robert-Enke-Stiftung auf Förderung eines Projektes zur Etablierung eines interventionsorientierten Präventivfragebogens zur Beurteilung der Suizidalität bei depressiv Erkrankten, die einen Angehörigen durch Suizid verloren haben. Berlin: Alexianer St. Hedwig Krankenhaus, Psychiatrische Universitätspsychiatrie der Charité.