ROBERT ENKE
Robert Enke hat das Leben geliebt. Als er einmal in Santa Cruz auf Teneriffa als Torwart arbeitete, ging er oft zum Hafen hinunter, setzte sich auf eine Treppe und sah still dem geschäftigen Treiben zu. Der reine Anblick des Lebens machte ihn glücklich. Als sich am 10. November 2009 das Leben nahm, wurde vielen Menschen in den entferntesten Winkeln der Welt schlagartig klar, wie wenig wir doch von der Krankheit Depression verstehen: Oder wie konnte es sein, dass sich ein Mensch umbrachte, der so herzlich, so einfühlsam, so stark war; der das Leben doch so sehr liebte? Wie sehr und wie plötzlich mussten die düsteren Gedanken der Krankheit über ihn hergefallen sein.
Die meiste Zeit seines Lebens war Robert Enke frei von Depressionen. Geboren am 24. August 1977, wuchs er in Jena wie die meisten deutschen Kinder der Siebzigerjahre auf: zwischen zwei Wäschestangen. Die dienten im Hinterhof als Tor. Fußball gespielt wurde praktisch in jeder freien Minuten. Selbst das einschneidende Ereignis der jüngeren deutschen Geschichte nahm er da nur beiläufig wahr: Deutschland wurde wiedervereinigt, und Robert und seine Freunde spielten einfach weiter Fußball. Er war ein talentierter Stürmer, der FC Carl Zeiss Jena, der große Klub der Stadt, verpflichtete ihn mit 8 Jahren – und nur der Zufall brachte Robert Enke schließlich ins Tor: Der Torwart seiner Jugendelf zog nach Moskau um, sie brauchten einen neuen.
Sein Talent war nicht zu übersehen. Mit 15 spielte er bereits in der Jugend-Nationalelf, mit 20 bei Borussia Mönchengladbach erstmals in der Bundesliga. 1999, mit 21, wurde er für die Reise mit der Nationalelf zum Confederations Cup nominiert, doch es sollten acht Jahre vergehen, bis er tatsächlich erstmals für die DFB-Auswahl spielte; acht Jahre, in denen er die Höhen und Tiefen des Sports in extremer Intensität erlebte. Er, das gehegte Talent in Mönchengladbach, wurde danach ein Star bei Benfica Lissabon, dann beim FC Barcelona Ersatztorwart, er landete ein halbes Jahr in der Arbeitslosigkeit, gehetzt und vergessen, und kämpfte sich über Teneriffa und die zweite spanische Liga zurück auf die große Bühne, wo er sich ab 2004 bei Hannover 96 als reifer Klassetorwart präsentierte. Auf seiner Odyssee war Robert Enke nicht nur ein außergewöhnlicher Torwart, sondern ein besonderer Profi geworden. Er zeigte uns allen, dass ein Torwart demütig, rücksichtsvoll und trotzdem Weltklasse sein kann. „Ich werde nie öffentlich sagen, der oder der ist schlechter als ich, oder sonst wie versuchen, einen Kollegen kaputtzumachen, um die Nummer eins zu werden. Ich weiß, was Respekt ist“, sagte er und: „Fußball verleitet dazu, immer mehr, immer weiter zu wollen; ich aber habe gelernt, dass du dankbar dafür sein musst, was du hast.“ Und während er es sagte, war es unmöglich, nicht an diejenige zu denken, die er nicht mehr hatte. Kurz nach ihrem zweiten Geburtstag starb seine herzkranke Tochter Lara nach einer Ohrenoperation. Robert Enke versuchte auch danach, dankbar zu sein; für die wenige Zeit, die er und seine Frau Teresa mit Lara gehabt hatten. Er sprach gerne über Lara, „auf jedem zweiten Foto hat sie gelacht, sie war so ein tapferes, fröhliches Kind“.
Seine Bescheidenheit und Zurückhaltung machte er zu seinem Torwartstil. Er verzichtete auf triumphale Gesten. Er war ein König im Duell Auge in Auge mit dem gegnerischen Stürmer, und wenn er wieder einmal auf großartige Weise ein Tor alleine gegen den Angreifer verhindert hatte, ging er so selbstverständlich ins Tor zurück, als sei nichts geschehen. Nur innerlich lachte er vor Glück.
Eine Stiftung mit seinem Namen muss den Anspruch haben, gegen beide Tragödien seines Lebens zu kämpfen, für die Unterstützung herzkranker Kinder genauso wie gegen Depressionen, diese tückische Krankheit, die Robert Enke am Ende sogar den Gedanken raubte, wie sehr er das Leben liebte.